Zur zweiten Ausstellung in diesem Jahr wurde Sebastian Jung in den Chemnitz Open Space eingeladen. Der 1987 in Jena geborene und heute in Leipzig arbeitende Künstler widmet sich unter dem Titel Ostschule 3. Karl liebt Britney in raumumfassenden künstlerischen Materialassemblagen den ästhetischen und ideologischen Debatten im Osten Deutschlands. Es ist die dritte Präsentation des Künstlers in einer Reihe von Auseinandersetzungen mit den mentalen Brüchen seit dem Ende der DDR. Das langfristig angelegte Kunstprojekt begann im März 2023 in der Kirchgemeinde Großschirma bei Freiberg, wurde im Kunstverein Bielefeld im Mai weiterentwickelt und ist nun im Chemnitz Open Space zu sehen. Die Idee der Ostschule-Reihe ist es, Gräben in Debatten anders sichtbar zu machen: zwischen Stadt und Land, Ost und West, Zukunft und Vergangenheit. Mit Mitteln der Irritation sucht Jung Verständigung zu schaffen.
Anhand von assoziativ zusammengefügten Bildern aus der Kunstgeschichte, oder durch künstliche Intelligenz generiert, entstehen Zeichnungen und Malereien. Ebenso schafft er Assemblagen aus Alltags- und Konsumgegenständen und anderen Objekten des täglichen Gebrauchs, um den mentalen Konfliktlinien nachzugehen. Die Werke sind Ergebnisse der Reflexion seines eigenen Aufwachsens in Zeiten des Umbruchs. In Chemnitz hat ihn besonders die Auseinandersetzung mit dem in unmittelbarer Nähe zum Chemnitz Open Space gelegenen Marx-Monument interessiert. Das Monument trägt wie kein zweites in der Stadt die Ambivalenz des ideologisch-kulturellen Erbes der DDR in sich. Es ist ein Ausdruck der Diktatur der SED, Geste der Unterdrückung und Machtlosigkeit der Bürger:innen, aber auch Symbol der ikonischen Verklärung Marx‘scher Theorie. Der Kopf wird heute im ehemaligen Karl-Marx-Stadt popkulturell angeeignet, entschärft, und ist zugleich Sehnsuchtsbild ostalgischer Gefühle. Er ist zu einem medial attraktiven Anziehungspunkt für öffentlich ausgetragene Konflikte unterschiedlicher Art geworden.
In den ersten beiden Ausstellungen von Ostschule ging es um die Wirkungen der DDR-Zeit und der Nachwendezeit in die Gegenwart. Im ersten Teil wurden von Alexander Wagner Gespräche anhand von Sebastian Jungs »Konfliktfiguren« mit Besucher:innen der Kirche in Großschirma geführt. Im zweiten Teil wurden diese Ausdrücke ostdeutscher Erfahrungswelten in einer Intervention in den Garten des Bielefelder Kunstvereins überführt. Im Chemnitzer Teil geht es nun darum, aktuelle mediale Debatten an Ost-Perspektiven zu spiegeln. Es sind kollektive Perspektiven, die Sebastian Jung bei seinen vielfältigen Exkursionen an Orte gesellschaftlicher Realitäten sammelt, sei es in Einkaufszentren, auf Demonstrationen oder bei einer Crash-Car-Show.
Die Ausstellung will neue Assoziationsräume beim Publikum öffnen. Altbekannte Motive werden durch ungewohnte Kombinationen und Überarbeitung neu kodiert und interpretiert. Verunsicherungen entstehen. »Karl liebt Britney« ist Ausdruck dieser unmöglichen Kombination des Unversöhnlichen. Auf dem ersten Blick sieht man nur die Unvereinbarkeit gegensätzlicher ästhetischer und ideologischer Haltungen, in denen Marx‘sche Kapitalismuskritik auf die Abgründe ausgeklügelten Popmarketings trifft. Denn die US-amerikanische Popsängerin Britney Spears ist wohl eines der tragischsten Beispiele des Aufstiegs und Falls in der Popkultur: Anfang der 2000er Jahre war sie international erfolgreich, 2008 wurde sie nach persönlichen Problemen entmündigt und kämpfte bis 2021 um ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Kritisiert Marx die Ausbeutung der Arbeiter:innen im 19. Jahrhundert, kann Spears als eines der bekanntesten Opfer von Fremd- und Selbstausbeutung im popkulturellen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts bezeichnet werden. Sebastian Jung, geprägt durch eine postsozialistische Gesellschaft des Übergangs zwischen vermeintlich realexistierendem Sozialismus und freier Marktwirtschaft, lädt Besucher:innen in Chemnitz ein, an seinen Befragungen der gegenwärtigen wirtschaftlichen, politischen und ästhetischen Konflikte teilzuhaben. Sein zentrales Anliegen ist es dabei, immer auch den seelischen Zustand das Subjekt zu ergründen. Fern einer klaren Antwort, konfrontiert er uns mit seiner eigenen Unsicherheit in der Hoffnung, im gemeinsamen Prozess weiterzukommen oder gemeinsam zu scheitern.
Die Ausstellung Sebastian Jung. Ostschule 3. Karl liebt Britney wird vom 26. August bis zum 1. Oktober 2023 im Chemnitz Open Space gezeigt. Kuratiert wurde sie von Sebastian Jung gemeinsam mit Prof. Dr. Frédéric Bußmann. Herzliche Einladung zur Eröffnung der Ausstellung am Freitag, den 25. August 2023, um 19 Uhr. Dr. Sabine Maria Schmidt wird die Begrüßung übernehmen und kurz in Ausstellung einführen. Im Anschluss gibt es ein Künstlergespräch mit Sebastian Jung, geführt von Justus Geilhufe, Gemeindepfarrer in Großschirma bei Freiberg. Der Eintritt ist frei.
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